Denken und Beten

„Naturwissenschaft basiert auch auf Glaubenssätzen.“

Der Jesuiten-Pater Richard d'Souza hat am Max Planck Institut für Astrophysik in München-Garching darüber promoviert, wie Galaxien entstehen. Seit Mai 2016 ist er Mitarbeiter der Vatikanischen Sternwarte. WIr haben mit ihm über die Grenzen zwischen Wissenschaft und Glauben gesprochen.

Pater d’Souza, wieso sind Sie Jesuit geworden, um dann Astronomie zu studieren?

Der Orden hat mich zu dem gemacht, was ich heute bin: ich war an einer Jesuitenschule und bin schon mit 18 als Novize eingetreten. Die Jesuiten hatten mich immer schon begeistert: mehr als 400 Jahre Geschichte, die Fähigkeit, sich ganz unterschiedlichen Kulturen anzupassen und dennoch den eigenen Kern zu bewahren, das fasziniert mich bis heute. Außerdem ist unser Orden bei aller Spiritualität eher rational, intellektuell, immer auf der Höhe der Zeit. Jesuiten waren immer auch Wissenschaftler, insofern war der Weg gar nicht so weit, vom Jesuiten zum Astronomen.

Woher kommt Ihr Interesse an der Naturwissenschaft?

Von Kindheit wollte ich immer die Welt zu verstehen. Ich war schon als kleiner Junge begeistert von Ingenieuren und ihren Leistungen. Daher begann ich bereits als Jesuit in Indien, Physik zu studieren, Teilchenphysik, bevor ich ein Stipendium für Deutschland bekam. Der Provinzial hier hat dann meine Neigung gesehen und mich gebeten, an die Vatikanische Sternwarte zu gehen. So wurde es also die Astronomie.

Damit sind Sie von den ganz kleinen Phänomenen der Physik bei den ganz großen gelandet.

Naja, das reizt mich schon, wie jeden Physiker, dass es nach wie vor kein gemeinsames Erklärungsmodell gibt für die Physik des Kleinen – die Quantenmechanik – und die Physik des Großen, womit wie in der Astronomie zu tun haben. Diese Grenze zu überwinden, ist ein riesiger Ansporn für sehr viele Physiker.

Gilt das auch für die Grenze zwischen Wissenschaft und Glauben?

Nach meiner Überzeugung gibt es diese Grenze gar nicht, zumindest nicht so scharf, wie man vermuten könnte.

Wie bitte?

Man stellt immer wieder den Gegensatz von Naturwissenschaft und Glauben her, aber es ist ein Irrglaube, dass Wissenschaft alles, was sie aussagt, auch beweisen könnte. Tatsächlich gründet auch die Wissenschaft auf vielen Glaubenssätzen. Man nennt das nur anders, nämlich Vorannahmen oder Prämissen. Woher wissen wir denn, dass 1+1=2? Das kann man nicht beweisen. Nach Gödels Theorem gibt es in offensichtlich widerspruchsfreien Systemen immer unbeweisbare Aussagen. Das muss jede Wissenschaft akzeptieren. Dann sind wir von der Aussage „Es gibt Gott“, was die Beweisbarkeit anbelangt, nicht mehr so weg.

Können Sie noch ein Beispiel nennen für Glaubenssätze in der Naturwissenschaft?

Ja, wenn wir zum Beispiel die Massen von Galaxien berechnen, dann übertragen wir einfach die Eigenschaften unserer Milchstraße auf jede andere Galaxie. Wir haben aber überhaupt keine Ahnung, ob das zulässig ist. Ob unsere Milchstraße eher durchschnittlich aufgebaut ist oder einen Ausreißer darstellt. Das Ergebnis einer solchen Annahme ist letztendlich ein Glaubenssatz. Wir tun nur so, als sei das beweisbare Physik.

Kann man also sagen, dass sich Physik genauso wenig oder genauso viel beweisen lässt wie Religion?

Im Prinzip schon, aber man darf nicht den Fehler machen, mit dem Mittel des wissenschaftlichen Beweises an religiöse Fragen heran zu gehen, denn dann scheitert man zwangsläufig. Auf dem Olymp sitzen nun mal keine Götter, und die ersten Raumfahrer haben auch im Himmel Gott nicht gefunden. Auf diese Weise würden wir mit dem Erkenntnisfortschritt der Wissenschaft Gott mehr und mehr aus der Welt drängen.

Wie gehen Sie dann an religiöse Begriffe heran?

Religion ist die Erfahrung existenzieller menschlicher Phänomene, die natürlich auch eine naturwissenschaftliche Dimension haben, etwa eine biochemische oder eine genetische. Während Naturwissenschaft aber immer auf die physikalische Welt bezogen bleibt, ragt Religion darüber hinaus, und die Erfahrungen, die Menschen mit Religion machen, bestätigen das.

Wo ist für Sie Gott?

Schon das erste Wort Ihrer Frage ist falsch, denn das verweist auf einen Ort, auf eine physikalische Dimension. Ich bin der festen Überzeugung, dass man Gott nicht physikalisch suchen darf - auch wenn viele berühmte Physiker gläubig waren.

Und der Urknall?

Ist kein Gottesindiz.

Manche Wissenschaftler wie Stephen Hawking meinen, die Existenz Gottes durch neue Erkenntnisse der Naturwissenschaft quasi widerlegen zu können.

Damit machen sie den gleichen Fehler wie die anderen, die in den Urknall einen Hinweis auf den Schöpfungsakt hineininterpretieren. Beide argumentieren rein materialistisch. Das kann man natürlich tun, aber damit wird man Gott nicht beschreiben können. Im Übrigen ist Hawkings Mulitverse-Theorie auch nichts anderes als ein Glaubenssatz. Niemand wird das jemals beweisen können.

Welche Indizien haben Sie dafür, dass aus der physikalisch-materialistischen Dimension etwas hinausragt, das man Gott nennen könnte?

Die Schönheit der Natur ist für mich ein Hinweis auf Gott. Wenn ich mich auf die Jahreszeiten einlasse, empfinde ich Gottesbezug. Die Geburt eines Kindes bleibt bei aller Biologie immer auch ein Geheimnis. Auch dass alles Leben irgendwann ein Ende hat, weist für mich auf die besondere Bedeutung von Leben hin.

Wie denken Sie sich Gott?

Ich habe von meiner eigenen Rastlosigkeit gelernt. So glaube ich heute, dass die Wissenschaft für mich heute einfach nur Ausdruck und Ausfluss meiner Gottessuche ist. Ich würde heute sagen, dass Gott der Grund dafür ist, wieso ich als Wissenschaftler arbeite. Das ist der Ansatz von Karl Rahner: Gott als das Objekt meiner ganz persönlichen Suche nach Sinn – und als das endgültige Ziel.

Wie sehen Sie ihre spezielle Rolle als Jesuit und Astronom?

Mich reizt es sehr, als Priester mit Wissenschaftlern zu arbeiten, sie vielleicht ein wenig näher an Gott heran zu bringen, zumindest ihre Suche zu vertiefen. Dabei kommt mir zugute, dass ich beide Erkenntnisstränge kenne: den der Naturwissenschaft und den der Religion. Ich sehe meine Aufgabe darin, dass ich mich frage: wie kann ich dort Priester sein, genau bei diesen Menschen, in agnostischen, potenziell kirchenfeindlichen Umgebungen. Von diesen Erfahrungen können wir als Orden sehr profitieren.

Interview: Gerd Henghuber

Foto: Deutsche Provinz der Jesuiten, Leopold Stübner SJ

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